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Psychoonkologie – Blogprojekt & Podcast – 4. Sinn und Sinnsuche

 

Mit meiner Kollegin Franziska Sebode von wieder-leben.info habe ich ein Videoprojekt begonnen zum Thema Psychoonkologie. Sie ist selbst Betroffene und schreibt in ihrem blog Lass-uns-reden u.a. über Krebs, Angst, Trauer und vieles mehr.

In mehreren Beiträgen werden wir verschiedene Aspekte rund um das Thema Psychoonkologie betrachten. Wir freuen uns über Zuschauerfragen und werden gerne darauf eingehen/reagieren.

Mir ist die Psychoonkologische Begleitung eine Herzensangelegenheit, die in Deutschland noch viel mehr Raum bekommen sollte.

 

Was ist der „Sinn meines Lebens“? Eine Frage, die sich und der sich viele Menschen stellen.

 

 

 

“Wir werden sterben. Keiner kommt aus dem Leben lebend heraus. Das ist außerhalb unseres Einflussbereiches. Was wir aber beeinflussen können, ist, wie wir diese Zeit – so lange sie auch sei – gestalten.” waren Deine Worte, die mich an die Logotherapie von Viktor Frankl erinnern. Wie hast Du Deinen Sinn im Leben, Dein IKIGAI gefunden?

So oder anders haben es schon Einige geschrieben. Früher oder später wird ein jeder von uns mit der existenziellen Frage des Seins und des “Wie lange noch” konfrontiert. Und letztendlich muss jeder den für sich passenden Umgang damit finden. Religion und Esoterik entsprechen zum Beispiel nicht meinem Wesen. Ich bin sehr der Eigenverantwortung und dem dem Hier und Jetzt zugewandt. So haben sich im Laufe der Zeit Themen herauskristallisiert, die mir ein Gefühl von Sinnhaftigkeit gegeben haben.
Im Laufe unseres Lebens ändern sich Prioritäten. Deshalb gibt es aus meiner Sicht nicht “den einen Sinn”. Er wandelt sich im Laufe der Rolle, die wir in unserem Leben einnehmen. Denn als Jugendlicher sind andere Prioritäten wichtig, als bei einem jungen Erwachsenen, bei Eltern, bei Singles, bei Menschen am Ende des Berufslebens und danach.

 

 

 

 

Wie hat sich Dein Sinn im Leben verändert? Wie hast Du vielleicht Dein Leben verändert?

Was sich für mich durch alle diese Etappen zog, war das Bedürfnis nach Kommunikation, Respekt, Neugier auf Andere, Nachhaltigkeit und der Wunsch, Spuren zu hinterlassen. Ich habe mich schon seit vielen Jahren mit Kommunikation, Philosophie und Psychologie beschäftigt. Mir wurde immer klarer, dass Selbstwirksamkeit, Sinnhaftigkeit und Zugehörigkeitsgefühl für mich wesentliche Bestandteile eines Lebens im Gleichgewicht sind. Einige Punkte hatte ich in den vergangenen Jahren vernachlässigt. Ich hatte Familie und einen Job. Ich habe gut verdient, konnte das, was ich tat. Aber mir fehlte das Gefühl von Sinn und Freude daran. Einfach alles hinwerfen und das studieren, was ich immer schon wollte, war keine Option. Also habe ich ein Fernstudium begonnen und 3 Jahre neben der Arbeit jeden Abend und am Wochenende studiert. Das hat mich sehr erfüllt. Gleichzeitig hat es mir in schwierigen Zeiten auch Struktur gegeben. Als sich die Chance für einen neuen Job im Unternehmen ergab, der mehr meinem Bedürfnis nach Kontakt zu Kunden und Kommunikation entsprach, habe ich zugegriffen. Und ich habe meine Arbeitszeit reduziert, um parallel eine eigene Praxis als Heilpraktikerin für Psychotherapie und Coach aufzubauen.
Ich bin heute im Gleichgewicht. Ich kann loslassen und mich an den kleinen Dingen im Leben freuen. Ich gönne mir jeden Tag kleine Pausen – beim Laufen ins Büro, in der Mittagspause, an meinem freien Tag.

Jede Form von Veränderungen bewirkt auch im Umfeld (System) eine Reaktion und Veränderung (systemische Ansatz). Wie hat Dein Umfeld auf Deine veränderte Lebensgestaltung reagiert?

Das ist in der Tat ein wichtiger Punkt. Nicht umsonst wird auch bei Psychotherapien darauf hingewiesen, dass sich im Laufe der Therapien Beziehungen nicht nur positiv verändern können.
Bei mir gab es am Anfang einige Reibungen. Plötzlich habe ich mehr Nein gesagt, war nicht immer verfügbar, habe bei alten Kommunikationsmustern nicht mehr mitgemacht. Bei mir traf diese Zeit mit der Pubertät und Ablösung unserer Tochter zusammen. Aus heutiger Sicht war alles ein verbundener Prozess und hat am Ende für uns alle positive Auswirkungen gehabt. Wir haben uns zum Beispiel als Eltern emanzipiert und ein neues Verständnis als Paar entwickelt.
Dabei war ein Familienmitglied mit Erfahrung in systemischen Prozessen, Entwicklungs- psychologie und gewaltfreier Kommunikation ganz nützlich.
So konnten wir einige Tretminen umgehen und haben uns alle weiterentwickelt.

Wir sprachen auch schon über die Unsicherheit auf beiden Seiten – bei PatientINNen und beim Umfeld. Welche Empfehlung würdest Du anderen aufgrund Deiner Erfahrungen geben, die von einer Krebsdiagnose unmittelbar oder indirekt betroffen sind?
Meine Empfehlung ist Offenheit und Ehrlichkeit. Fragen hilft. Was kann ich für die tun? Was willst du wissen? Es müssen keine unsinnigen Lügen sein, keine Verleugnung der Situation. Aber auch “es wird wieder gut”, “wir halten zusammen”, “ich bin für die da” wirken unterstützend: Sie schaffen positive Energie, Hoffnung, Emotionen. Sie stärken das Immunsystem und die Selbstheilungskräfte des Menschen.
Mißachtung, Schuldzuweisung, das Zurückziehen des Arztes hinter technische Termini, die körperliche Abweisung durch den Partner: das alles sind sogenannte Nocebo. Sie zerstören den Glauben an die Heilung, sie verstärken die Hilflosigkeit und Angst.
Aber auch der innere Dialog kann unsere Heilung sabotieren: “Ich werde sowie sterben, alles hat keinen Sinn mehr”…. das hilft auf keinen Fall.

Das heißt, auch bei einem so ernsten Thema darf mal gelacht werden?

Natürlich! Lachen löst peinliche und fremde Situationen auf. Es entlastet und setzt Endorphine frei. Es bringt Menschen mehr zusammen und ist einfach schön. Ich habe mit Mitpatienten gelacht, mit Ärzten und natürlich mit meiner Familie.

Du hast als Patientin sowohl betroffene Männer als auch Frauen erlebt. Was war Dein Eindruck: Gehen Männer und Frauen unterschiedlich mit der Diagnose um?
Es ist natürlich nicht in Ordnung, bei dieser Frage zu verallgemeinern. Ich habe “Kämpfer und Aufgeber” erlebt. Im Wesentlichen war zumindest meine Wahrnehmung, dass Frauen selbständiger und pragmatischer sind. Viele Frauen erhielten ihre Chemotherapie zwischen Haushalt und Kinder- bzw. Familienbetreuung und waren sehr selbständig. Sie waren offen, haben schnell Kontakte geschlossen und es haben sich kleine Gruppen gebildet, die sich die Zeit gegenseitig leichter gemacht haben. Es wurde viel geredet, über die Krankheit, aber auch praktische Themen und Probleme im Alltag.
Die Männer waren mehr für sich, haben wenig gesprochen und wurden oft von ihren Ehefrauen begleitet. In meinem Umfeld war allerdings auch der Altersdurchschnitt der weiblichen Patienten viel jünger, als der der männlichen.

Fällt es Männern vielleicht schwerer, mit der Diagnose umzugehen, weil sie sich schwach/schwächer fühlen und in unserer Gesellschaft und Erziehung “Ein Mann muss stark sein.” als impliziter und/oder expliziter Glaubenssatz vermittelt wird?

Das war mein Gedanke, als ich die Frage nach den Unterschieden im Umgang zwischen Männern und Frauen reflektiert habe: Frauen wird es leichter zugestanden, schwach zu sein, zu weinen. Frauen sind aber auch schneller bereit, sich in neuen Situationen zurechtzufinden und sich zu öffnen. Sie dürfen eher über psychische Probleme sprechen, halten aber auch damit die Rolle der “Schwächeren” zugewiesen.
In vielen Familien steht der Mann zudem als Hauptverdiener der Erwartung gegenüber, immer funktionieren zu müssen.
Die Männer, die heute im mittleren Alter sind, wurden mit klassischen Rollenerwartungen erzogen: Ein Mann weint nicht, ist nicht schwach, darf nicht versagen. Mitleid zu erhalten ist ein Zeichen von Schwäche und unmännlich.
Ich habe aber auch in meinem Freundes- und Kollegenkreis ganz großartige Männer kennengelernt – die meisten davon selbst mit tiefen Einschnitten im Leben – die sich aus dieser Rollenzuschreibung befreit haben und sehr viel Lebensqualität dadurch gewonnen haben.

Dürfen heutige Männer auch mal schwach sein?

Aus meiner Sicht dürfen sie es nicht, sie müssen es! Licht und Dunkel gehören zusammen, Hitze und Kälte und so auch Stärke und Schwäche. Schwach zu sein ist menschlich. Das nicht zulassen zu dürfen, macht einen Menschen krank. Sein Ich nicht in allen seinen Facetten leben zu dürfen, kostet Lebensenergie und führt im schlimmsten Fall zu Depression und Sucht. Jeder Mensch hat das Recht, schwach sein zu dürfen und um Hilfe zu bitten, das macht das Leben reich.

 

 

 

(© Praxis Der Zuhörer – Steffen Zöhl, 2020)

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