Der gute Mensch (Therapeutische Geschichte)

Eine Mutter zog ihren Sohn gern mit den Worten „Werde ein guter Mensch.“ groß. Auch wenn er noch keine genaue Vorstellung davon hatte wie, beschloss er, ein richtig guter Mensch zu werden.

Er half erst seiner Familie, dann seinen Freunden und den Nachbarn und anderen Menschen, die ihm hilfsbedürftig vorkamen. Er half ihnen, in dem er Dinge für sie erledigte, ihnen Geld gab oder seine Zeit schenkte. Er vermied es, zu widersprechen oder ein böses Wort zu sagen. Da es ihm wichtig war, versuchte er stets, die Wünsche seines Gegenübers zu erfüllen.

Und da er ein RICHTIG guter Mensch werden und immer mehr Menschen helfen wollte, hatte er zu wenig Zeit einer Arbeit nachzugehen, zu essen, schlafen oder gar sich auszuruhen. Er gab, bis es nichts mehr zu geben gab. Es ging ihm mit der Zeit immer schlechter. Vermutlich, weil er noch immer kein richtig guter Mensch geworden war.

Eines Tages hörte er von einem Berg, auf dem ein weiser Mann lebte und wo er Antworten bekommen könnte. Und da ihn die Frage beschäftigte, wie er denn ein RICHTIG guter Mensch wird, machte er sich auf den Weg.

Es war ein langer Weg, also packte er Brot und Wasser ein, Kleidung zum Schutz vor Sonne und Kälte und machte sich auf den Weg. Als er ein Stück des Berges erklommen hatte, traf er andere Wanderer. Da diese weniger hatte, als er, gab er ohne zu fragen Teile seiner letzten Kleidung ab, teilte sein Brot und Wasser und gab es den anderen.

Kurz bevor er oben war, begann er fürchterlich zu frieren, denn er hatte kaum noch Kleidung übrig und seit einiger Zeit nichts mehr gegessen und getrunken. Mit letzter Kraft kämpfte er sich weiter und kam zu einer Hütte aus der ein Feuer schien. Mit Tränen in den Augen erkannte er einen alten Mann. Der Alte schenkte ihm einen Becher Wasser ein und gab ihm Brot und wärmende Kleidung. „Ich habe meine Kleider gegeben, mein Brot und Wasser geteilt und anderen geholfen, bis ich es selbst nicht mehr konnte … und fühle mich nicht besser … und bin kein guter Mensch geworden.“

„Ein guter Mensch“, sagte der Alte, „gibt nicht alles, um des Gebens wegen. Er bedenkt andere, aber er denkt auch an sich.“ Der Alte schaute ihn freundlich an „Wenn Du anderen helfen willst, bist Du wie dieser Krug, der die Becher füllt. Der Krug kann nur einige Becher füllen. Behandelst Du den Krug aber nicht pfleglich, bekommt er Risse und geht kaputt. Dann füllt er keine Becher mehr.“

„Gehe heim, gründe eine Familie, lebe und liebe … und achte Dich selbst.
… dann kannst Du auch anderen helfen.“

 

 

Veröffentlich in „Herzgeschichten für kleine Glücksmomente“ (Lehmanns media).

 

 

(© Praxis Der Zuhörer – Steffen Zöhl, 2016)

 

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