Der Rumpelbutz
-gewidmet Mercedes „Merle“-
(Weihnachtsgeschichte 2022)
Es lag noch etwas Raureif auf den Straßen als ich an einem dieser ersten Dezembertage mit einer Dose selbstgebackener Plätzchen, einer Flasche guten Rotwein, einem Krimi und einer Weihnachtskarte bei „Wiegmann“ klingelte.
Das Haus war mir noch so vertraut. Immerhin hatte ich hier einige Jahre gewohnt und ich kannte die Eigenheiten. Auch wenn nun schon fast zehn Jahre vergangen waren, als ich noch täglich hier ein und aus ging, hatte das Haus seinen Charme nicht verloren. Die gedunkelten Ziegelsteine, die breite Treppe und der Erker im zweiten Geschoss verliehen ihm eine gewisse Anmut und Würde.
Einen Augenblick später öffnete sich die schwere Eichentür mit einem tiefen Knarren und ich blickte in Magdalenas freundliches Lächeln. „Ach Du treue Seele“, sagte sie, „Dass Du immer noch an mich denkst, freut mich sehr und berührt mich. Komm doch bitte herein.“ Es folgte eine kurze und herzliche Umarmung.
Ich mochte diese wunderbare klassische Höflichkeit, die sich bei Magdalena oft in Kleinigkeiten wie dem „bitte“ in „Komm doch bitte herein.“ zeigte. In der heutigen Zeit fehlt mir das oft und so versuche ich Magdalena ein bisschen nachzueifern und auf eben solche Kleinigkeiten zu achten.
Magdalenas Haar war inzwischen weiß geworden und ihre Bewegungen langsamer, aber ihre Anmut und ihren freundlichen Charme hatte sie sich bewahrt. In der „guten Stube“ angekommen, erblickte ich sogleich Yoshi, der es sich neben dem Ofen in seiner weichen Liegewiese gemütlich gemacht hatte. „Yoshi! mein Lieber“, begrüßte ich ihn und ging zu ihm, um ihn etwas zu kraulen. Ich wusste noch, was er mag und er quittierte es mit einem langen Schnurren. Als Magdalena das sah, mussten wir beide lächeln. „Weisst Du noch …“, fragte ich und sie nickte. Dazu müsst ihr folgendes wissen:
Vor fast 18 Jahren war ich gerade neu in dieses Haus gezogen und meine Umzugskartons sammelten sich noch im Keller, als ich Magdalena auf eine besondere Weise kennenlernte, die uns seitdem noch immer verbindet und mich heute wieder zu ihr führte. Bei der Bewerbung um diese Wohnung, die bezahlbar, ruhig gelegen und doch verkehrstechnisch gut angebunden war, hätte ich nicht geglaubt, dass ich den Zuschlag bekommen würde. Die Freude war riesengroß und ich bezog begeistert mein neues Heim. Nach ein paar Tagen jedoch war mir klar, warum ich sie bekommen hatte. Irgendwas stimmte doch hier nicht…
Da ich eine Zeit lang von zu Hause aus arbeitete, war ich die ganze Zeit in der Wohnung. Irgendwann hörte ich ein Klopfen, das wohl aus dem Gemäuer des Hauses kam. Zunächst dachte ich an Naheliegendes wie einen Ast, der bei Wind gegen eine Hauswand oder den Schornstein schlug, einen alten Ofen oder ein defektes Gerät. Also ging ich einmal ums Haus, in den Keller und auf den Dachboden und konnte doch nichts erkennen. Auch wenn das Haus schon in die Jahre gekommen war, hatten wir eine recht moderne Heizungsanlage. All das schied also aus.
Es wohnten auch nur 4 Mietparteien im Haus. Im Erdgeschoss eine Rentnerin und eine Studenten-WG, bestehend aus 3 angehenden Ärztinnen (das hatte ich aus den Flurgesprächen beim Einzug behalten) und im zweiten Geschoss die vermietende Familie in der Wohnung mit Erker und daneben ich. Sollte mir hier jemand einen Streich spielen wollen?
Ein paar Tage später traf ich den Vermieter im Hof und sprach ihn darauf an. Überraschenderweise hatte der die Klopfgeräusche auch gehört und glaubte wiederum, ich würde noch Umzugsarbeiten erledigen und wäre der Ausgangspunkt des Klopfens. Der kleine Sohn des Vermieters hatte sofort eine Erklärung für das nun ungeklärte Klopfen: „ein Rumpelbutz“. Der Vater lächelte. Auch wenn ich keine genaue Vorstellung davon hatte, was ein Rumpelbutz sein könnte, war ich mir doch recht sicher, dass dieser nicht dafür verantwortlich war.
Nun war es also an mir, herauszufinden, woher das geheimnisvolle Klopfen kam. Also begann ich zu notieren, wann ich das Klopfen hörte. Ich konnte jedoch keine Regelmäßigkeit feststellen – weder im Klopfen selbst, noch in seinem Auftreten. Ein Hilferuf eines Eingesperrten fiel damit ebenso weg. Mal war es vormittags, mal nachmittags und manchmal sogar abends. Das Gerücht vom Rumpelbutz verbreitete sich natürlich wie ein Lauffeuer im Haus und die Erwachsenen scherzten bei allen möglichen Gelegenheiten darüber.
Eines Dezembertages kamen die Rentnerin und ich etwa zeitgleich vom Einkaufen zurück und ich bot ihr selbstverständlich an, beim Hochtragen der Einkaufstaschen zu helfen. „Das ist aber nett und heutzutage nicht mehr so üblich, junger Mann. Vielen Dank.“, bedankte sie sich. Im Hausflur hörten wir beiden das Klopfen und so sprach ich sie darauf an. „Hm, nein, bisher ist mir das nicht aufgefallen.“, hörte ich beim Aufschließen ihrer Wohnungstür, „Aber es klingt fast, als käme es aus meiner Wohnung.“
Beim Betreten der Wohnung sahen wir nun beide Katerchen Yoshi, der sich wohl ein Spiel daraus gemacht hatte, auf den Schaukelstuhl zu springen und dann wieder herunter. Dabei stieß der Schaukelstuhl dann immer mal wieder gegen den Schornstein. „Yoshi“, rief sie und der Kater stoppte sofort, als hätte er gewusst, dass er das nicht tun sollte. Und ich ergänzte: „Du bist also der Rumpelbutz“ und lachte. Yoshis Frauchen sah mich verwundert an.
So folgten die Erklärungen zum „Rumpelbutz“ und meiner Suche nach dem „Klopfer“. Sie lud mich zum Tee ein und wir erzählten viel. Aus einem Tee wurden mehrere, aus einem ersten Treffen wurden weitere und aus der Rentnerin Frau Wiegmann wurde Magdalena. So entstand aus unserer ersten Bekanntschaft eine herzliche Freundschaft, die nun schon seit Jahren hält.
Und aus diesem Grund besuche ich Magdalena noch immer „unregelmäßig-regelmäßig“ und habe in der Weihnachtszeit selbstgemachte Plätzchen dabei.
Ich wünsche allen Leserinnen und Lesern ein frohes, friedvolles und gesundes Weihnachtsfest sowie einen guten Start in ein gesundes Jahr 2023.
(© Praxis Der Zuhörer – Steffen Zöhl, 2022)