Der zerbrochene Teller
(Therapeutische Geschichte)
-in tiefer Dankbarkeit-
Ich schreckte zusammen als ich das Klirren und Scheppern aus der Küche hörte. Was war passiert? Hatte sie sich verletzt? Ich sprang auf und eilte in die Küche. Ein Teller oder vielmehr die Scherben eines Tellers lagen auf dem Boden. Elke schaute mich mit einer Mischung aus erschrocken und verärgert an. „Was ist denn passiert?“, entfuhr es mir. „Du hast ja auch alles so voll gestellt hier. Wie soll ich da auch vernünftig einen Teller in den Geschirrspüler stellen?“
„Wieso hast Du auch zwei Teller genommen? Dann wäre das nicht passiert.“, entgegnete ich. Ich konnte quasi sehen, wie die Wut und Verzweiflung in ihr anstieg. So froh ich auch war, dass ihr nichts passiert war, ärgerte mich der kaputte Teller. Sie war aber immer so ungeschickt, dachte ich noch, bevor ich mit vorwurfsvollem Blick die Scherben aufsammelte. Wutschnaubend verließ Elke die Küche. Im Nachhinein tat es mir leid, dass ich nicht entspannter darauf reagiert hatte. Ich war ja froh, dass es ihr gut ging. Es war letztlich nur ein Teller.
Einige Wochen später wollte ich im Fernsehen eine Sendung sehen und hatte mich mit dem Abendbrot beeilt. Ich griff beide vorbereitete Brettchen und stellte ein Glass Fruchtschorle dazu. Die Sendung sollte gleich beginnen und ich wollte ja Zeit sparen. Auf dem letzten Meter rutschte das Glas und ich ging in einen Jonglierversuch über … aber das Glas fiel doch zu Boden und die Schorle war nur noch eine Pfütze am Boden.
Diesmal war Elke es, die zur Tür hereinstürmte und fragte, was passiert sei. Ich spürte wie in mir die Wut über mein Missgeschick, der Ärger über das, was mir nun bevorstand und die Verzweiflung aufstieg. „Ist Dir was passiert?“, fragte Elke und ich druckste nur „Nein, alles ok.“ Innerlich bereitete ich mich auf einen Vortrag vor, warum ich denn nicht zweimal gegangen war und dass es ja klar ist, dass ein Glas auf dem Brettchen rutschen könnte. Ich überlegte schon, was ich entgegnen würde. „Du hättest mir ja auch helfen können, dann hätte ich nicht zweimal gehen müssen.“, war eine von mehreren Reaktionen, die mir durch den Kopf gingen. Ohne ein Wort lief sie in die Küche, holte die Küchenrolle und wischte die Flüssigkeit auf. „Pass auf die Scherben auf …bitte“, sagte ich, während ich die Brettchen abstellte und ein Kehrblech holte. „Naja, bis auf den Schrecken ist ja nichts passiert.“, lächelte sie mich an, „Es war nur ein Glas. Dir ist nichts passiert. Das ist wichtig!“
Ich war verunsichert, erleichtert und begeistert zur gleichen Zeit. Mir war klar, dass das DIE Gelegenheit für sie gewesen wäre, sich für meinen Ausbruch beim zerbrochenen Teller zu revanchieren. „Danke“, sagte ich kleinlaut. Dann nahm ich sie in den Arm und wiederholte es: „Danke, … dass Du nicht geschimpft hast. Ich weiß ja, dass das blöd von mir war.“ Wieder lächelte sie nur. In dem Moment wurde mir klar, dass weder ein kaputtes Glas noch ein Teller es wert waren, sich zu streiten oder Vorwürfe zu machen. Wenn einem so etwas passiert, wünscht man sich Verständnis, denn Vorwürfe macht man sich selbst schon genug.
Seitdem waren die kleinen Unfälle des Alltags nie wieder ein „Problem“ zwischen uns.
Was ich durch einen zerbrochenen Teller und ein kaputtes Glas lernte, macht mein Leben seitdem deutlich entspannter und leichter.
(© Praxis Der Zuhörer – Steffen Zöhl, 2018)